Lydia Kölbener
  • Start
  • Aktuell
  • Angebot
  • Lydia Kölbener
  • Dialog
  • Kontakt

Dialog

Selbststeuerung und Digitalisierung

7/30/2021

0 Comments

 

Jetzt wo wir als Erwachsenenbildnerin und Erwachsenenbildner wieder wählen und entscheiden können zwischen digitalen Lernsequenzen, Präsenzunterricht oder einer Mischform daraus, tauchen Fragen und Unsicherheiten auf, welche eine Antwort benötigen. Als Ausbildnerin von Ausbildner/Innen bin ich mich solchen Fragen konfrontiert.
 
- Wie kann ich in digitalen Settings die Atmosphäre spüren, den Prozess gestalten und wahrnehmen, was in der Gruppe abläuft?
- Sind die Teilnehmenden in meinen Kursen in der Lage, technisch und bezüglich ihren SoftSkills, einem digital gesteuerten Lernprozess zu folgen?
- Wie soll die Beziehung zwischen mir als Kursleitung und den Teilnehmenden gestärkt werden, wenn wir uns nur per Video sehen?
- Welche neuen Methoden, Tools und Instrumente sind «gut» und soll/muss ich einsetzen?
- Wie kann ich kontrollieren, ob die Teilnehmenden Aufträge verstehen und auch dranbleiben, wenn ich sie nicht mehr sehe, weil die Kamera abgestellt ist?
- Wie behalte ich den Überblick über die Technik und die neuen Tools und was mache ich, wenn die Technik versagt oder «alles abstürzt»?
- Wie gehe ich als Kursleitung mit diesen Veränderungen und den damit verbundenen Emotionen wie Scham, Angst und Unsicherheit um?  


Digitalisierte Lernprozesse verlangen ein hohes Mass an Selbststeuerung. Erwachsenenbildung verfolgt seit längerer Zeit die Ausrichtung des selbstgesteuerten Lernens, weil diese Lernform dem individuellen Lernen jedes einzelnen Teilnehmenden einfach gut entspricht. Das ist also nichts Neues. Es bedingt aber eine entsprechende Planung, ein auf Selbststeuerung ausgerichtetes System der Lernzielüberprüfung und ein etwas anderes Rollenverständnis der Kursleitung – im Präsenzunterricht gleichermassen wie in einer digitalen Lernsequenz.
 
Die didaktische Analyse mit den Fragestellungen zu Rahmenbedingungen, Lernvoraussetzungen, Zielen, Inhalten, Medien und Methoden bleiben in digitalen Lernsequenzen gleichermassen bedeutsam. Die Frage ist also eher «welche Methoden und Medien passen zum Ziel, zu den Lernvoraussetzungen und zu den Rahmenbedingungen» und viel weniger, «welche neuen, digitalen Methoden gibt es und sind gut». Das Thema «zu viel Inhalt und zu wenig Zeit» ist ebenfalls nicht erst mit der Digitalisierung entstanden. Eine Didaktische Reduktion unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren und eine saubere Detailplanung ermöglichen aktivierende und «zeitstressfreie» Bildungssequenzen.
 
Vielleicht fühlt sich die Kursleitung mit der modernen Technologie unsicher, kennt noch nicht alle Tricks und Kniffe und vielleicht gibt es Teilnehmende, die besser wissen, welche Optionen ein Tool noch hat. Bei den rasanten Veränderungen ist es eh unmöglich, als Einzelperson «alles» zu wissen. Zu einem handlungsorientierten, kooperativen Lernverständnis passt das bestens und ist auch im Präsenzunterricht, z.B. beim Einbeziehen der Vorerfahrung und Expertenwissen der Teilnehmenden bereits gelebte, ressourcenorientierte Realität. Dieses Einbeziehen von Wissen und Erfahrung der Teilnehmenden ist beim digitalen Arbeiten ebenfalls sehr gut möglich.
 
Unvorhersehbares, nicht Geplantes, Störungen und Scheitern sind Teil der erwachsenenbildnerischen Realität. Als Kursleitung bin ich auch im Präsenzunterricht gefordert, darauf adäquat zu reagieren und trotz allem die Lernziele im Fokus zu behalten. Es ist längst erwiesen, dass eine konstruktiv gelebte Fehlerkultur ein lernförderndes Klima begünstigt. Dies gilt in gleichem Masse bei digitalen Sequenzen.
 
Damit Lernen möglich ist, braucht es Vertrauen in die Entwicklungskompetenz der Lernenden. Es braucht eine Klärung der Sinnhaftigkeit, Vernetzungsmöglichkeiten mit bestehendem Wissen und individuelle Herangehensweisen zur Aufschlüsselung der Thematik. All dies ist bei Präsenzveranstaltungen wie auch in digitalen Settings gleichermassen relevant.
 
Präsent und aufmerksam sein, zuhören, beobachten, lachen, freundlich sein, reagieren und intervenieren sind Kompetenzen einer Kursleitung, damit sich die Teilnehmenden wohl und zugehörig fühlen und als Individuum akzeptiert und gehört werden. Die Zuversicht der Kursleitung bezüglich einer stimmigen Lern- und Gruppenatmosphäre beeinflusst die von den Teilnehmenden erlebte Energie massgeblich. Wenn ich also selbst davon ausgehe, dass KEIN Gruppengefühl entsteht, dass die Atmosphäre distanziert bleibt und ich die Teilnehmenden nicht «spüre» - dann werden diese Vorannahmen zur Realität.
 
Reflexion, Evaluation und Überprüfung des Lernfortschrittes bilden einen wichtigen Bestandteil von Lernprozessen, damit die Ergebnisse und Erkenntnisse gefestigt werden können. Als Kursleitung im digitalen Lernen und im Präsenzunterricht braucht es dazu passende Formen, Methoden und eine entsprechende Vorarbeit.
 
Heisst das, alles ist genau gleich?
Nein, es ist ungleich und die veränderten Rahmenbedingungen der Distanz und Technik bei digitalen Sequenzen müssen zwingend berücksichtigt werden. Wir können für Präsenzunterricht geplante Sequenzen nicht 1:1 in digitale Settings übertragen.
 
Die Veränderung der Ausgangssituation bedingt eine Überarbeitung der didaktischen Analyse und allenfalls eine Entwicklung der eigenen Kompetenzen als Kursleitung im Zusammenhang mit der modernen Technologie. Wer es aber vom «Umdrucker» über den «Kopierer» zum «Hellraumproki» und «Beamer» geschafft hat, wird es auch zu Zoom, Padlet und Teams schaffen.
 
Digitale Lernsequenzen passen nicht für alle Teilnehmende, so wie auch sonst selten etwas für alle passt. Bei Teilnehmenden, die kaum wissen, wie ein Computer zu bedienen ist oder wenig ausgeprägte Soft Skills für die Selbststeuerung mitbringen, gilt es zuerst, diese Kompetenzen zu erweitern, bevor andere Lerninhalte dazu kommen.
 
Für Personen mit wenig Kenntnisse der Unterrichtssprache sind Lernsequenzen grundsätzlich eine grosse Herausforderung – egal ob in Präsenzunterricht oder in digitalen Settings. Jede und jeder der/die schon mal an einer Veranstaltung in einer wenig geläufigen Sprache teilgenommen hat, weiss das.
 
Nur weil aktuell die Digitalisierung in aller Munde ist, gilt es trotzdem zu überdenken, wer legitimiert ist zu bestimmen, was Menschen lernen wollen/müssen/können und wer welche Lernerfolge wie (be)wertet und verlangt. Auch zukünftig soll aus meiner Sicht bei gesteuerten Lernprozessen der Mensch mit seinem freien Willen, seiner Entwicklungsbereitschaft/-fähigkeit und seiner Lernmotivation im Mittelpunkt stehen. Digitalisierung ist Mittel zum Zweck und nicht jeder Zweck heiligt alle Mittel.
 
Thun, im Juli 2021
Lydia Kölbener


0 Comments

Your comment will be posted after it is approved.


Leave a Reply.

Lydia Kölbener - Marquard-Wocherstrasse 59 - 3600 Thun - [email protected] - Telefon: 079 698 51 66
Fotos & Page: bildsektor.ch
  • Start
  • Aktuell
  • Angebot
  • Lydia Kölbener
  • Dialog
  • Kontakt